Jan Leiser: „Das Bombachgut – Ursprung meiner Kreativität“
Jahre bevor dieses imposante Alters- und Pflegezentrum entstand, gab es im Bombach-Areal fast so etwas wie eine Künstlerkolonie. Hier lebten und arbeiteten das Künstlerehepaar Ernst und Sascha Morgenthaler, der Architekt und konkrete Maler und Plastiker Max Bill und die Familie Leiser.
Gody Leiser war ein bekannter Grafiker. Seine holländische Frau Iet Glerum war Keramikerin und Töpferin. Jan Leiser, 1958 geboren, erlebte hier als Kleinkind seine erste Prägung.
Geprägt haben ihn in besonderer Weise die Besuche seiner holländischen Tante Annie Glerum, der älteren Schwester seiner Mutter. Sie brachte Jan exotische Kunsthandwerksachen von den Ländern, in denen sie als Botschaftssekretärin arbeitete, so aus Indien, Mexiko, Ägypten. Das sensibilisierte ihn für fremde Formen und Farbklänge und weckte sein Interesse für andere Länder und Kulturen.
Auch seine langjährige Beziehung zu seiner tibetischen Partnerin Palmo hat einen Einfluss auf sein künstlerisches Arbeiten.
Kein Wunder, dass Jan Leiser ein begeisterter und interessierter Reisender in Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas wurde und seine Beobachtungen und Überlegungen in sein Schaffen einfliessen. Zugleich ist er ein kritischer Zeitungsleser. Das führt zu unterschiedlichen Darstellungsweisen. Einerseits gibt er Beobachtungen real wider, andererseits erfindet er zum Geschehen visuelle Kommentare. Er wählt seine Titel bewusst. Das Dekorative kann zugleich auf irritierende Zusammenhänge hinweisen. Das reflektiert die jetzige Ausstellung sehr deutlich.
Die Einladungskarte ist illustriert mit einem Ausschnitt des Acrylbildes „Zufriedenheit auf Erden“, entstanden 2022. Dargestellt sind ornamentartig dekorierte Vögel, Blüten und Blätterzweige, aber keine Menschen. Das Bild ist Teil einer Viererserie. Die beiden Mittelbilder zeigen drei, respektive vier „Friedliche Menschen“ inmitten von viel Natur. „Unzufriedenheit führt zu Krieg“, so der Titel des vierten Bildes, von dem der zweite Bildausschnitt der Einladungskarte entstammt. Unzufriedenheit ist eine Eigenschaft, die nur Menschen haben können. Banal gesagt: Ohne die Menschen wäre es friedlich, ist solches angedeutet?
Inspiriert haben Jan Leiser zu dieser dekorativen Darstellungsweise indische Keramikkacheln, die er einst von seiner Tante erhalten hat. Zu den vier erwähnten grossen, farbenfrohen, dekorativen Acrylbildern gehört auch das vierteilige Bild „Paradies Adam und Eva“. Alles ist darin Natur. Nach Adam und Eva sucht man vergeblich. Sie sind nur präsent als Augenpaar, eines unten links, das andere oben rechts im Geviert. Weder verführt sie eine Schlange, noch ein Apfel vom Baum der Weisheit.
Frage: Sind es unbeschwerte Sehnsuchtsbilder als Gegenwelt zu den gegenwärtigen Bedrohungen?
Liest er nicht die Zeitung, sondern geht der Beobachter Jan Leiser durch die Strassen und Plätze von Zürich, hält er sie abbildmässig mit Bleistift oder Farbstift fest, wie etwa die Zeichnungen vom Limmatplatz oder den Prime Tower. Das Grossmünster und seine Umgebung hingegen integriert er in ein zellenartiges Kreisgebilde, „Zürichs Schwingungen“ heisst der Titel. Zürich ist wohl eher bestimmt von den Schwingungen der Bankenwelt am Paradeplatz als vom Kirchengebäude.
Jan Leiser zeichnet, malt, macht Radierungen und Linolschnitte. Er gestaltet auch Objekte oder realisiert grafische Arbeiten. Auf Reisen sind Farbstifte immer dabei. Das zeigen die Blätter zu Chiapas, Mexiko, zur Lebensweise der Indigenen oder zum vielfältigen Marktleben in Pondicherry in Indien. Ebenso beeindrucken ihn die Fauna und Flora, die ihn zu eigenwilligen Kompositionen inspirieren: Ein Baumstamm des Urwalds von Palenque, die Pflanze Heliconia Pendula oder die Quetzalvögel.
Die tägliche Zeitungslektüre veranlasst Jan Leiser zu persönlichen visuellen Kommentaren oder Figurenerfindungen. Die unendliche Berichterstattung zur Corona-Pandemie liess ihn das Gebilde „Coronagel“ erfinden, 2020 mit Acryl auf Leinwand gemalt. Eine Art Vogelwesen mit überdimensioniertem windradähnlichem Kopf. Das Wesen steht auf einem Zweig eines seltsamen Strauches. Woher kommt es? Was ist es? Sind das die Fragen?
Im Lauf der Pandemie entwickelte Jan Leiser weitere fantasievolle, bunte Wesen, „Coronavögel“, mit aufgesetzten unterschiedlichen Kronen und parlierenden Schnäbeln. Im Schlussbild der Ausstellung sind zwei solche Vögel einander gegenübergestellt, beide scheinen gleichzeitig zu parlieren, nur ihr Aussehen, ihre Dekoration ist verschieden. Ein Hinweis auf die diversen Experten und die Coronavarianten? Vielleicht.
Den genau Beobachtenden der Werke von Jan Leiser mag auffallen, dass immer wieder einmal körperlose Augen eingefügt sind. In der ägyptischen Frühkultur wie bei den Mayas in Zentralamerika spielt das Auge eine wichtige Rolle. So auch für Jan Leiser. Er sieht sich als Beobachter. Er arbeitet mit den Augen. Er hat aber auch grosse Probleme mit seinen Augen, weil er ohne Linsen sehr schlecht sieht.
Erwähnt habe ich schon die Augen von Adam und Eva. Sehr speziell ist der kolorierte Linolschnitt „Östliche Weisheit + westliche Dummheit“ von 2014/16. In der oberen Bildhälfte drei Trägerelefanten, in der unteren Bildhälfte dichtester Autoverkehr, davor ein grosses Auge mit blauen Ästen und daran festgeklammerten menschenartigen Figuren mit weissen Köpfen und grossen fensterartigen Augenpaaren. Über den Elefanten ist bewölkter Himmel. Unten überstrahlt das Augengebilde den ganzen Autoverkehr. Dieses sieht aus wie eine Vorform des Corona-Virus – eine technische Pandemie?
Jan Leiser geht künstlerisch dezidiert seinen eigenen Weg. Mit vielen seiner Werke nimmt er persönlich Stellung zu dem, was geschieht. Andererseits ist er fasziniert von der Schönheit und Artenvielfalt der Natur und hält das fest. Wichtig sind ihm kulturelle Aspekte. Gerne verfremdet er seine Kreationen mit Verschachtelungen oder Kreisgebilden. Das Beobachten und Wahrnehmen führt Jan Leiser stets zu neuen Kompositionen und Bilderfindungen.
Jan Leiser wurde nicht auf direktem Weg Künstler. Er machte bei der Messgerätefirma Mettler in Greifensee eine Ausbildung als Maschinenzeichner. Es folgte die Ausbildung zum Produkte-Designer an der Zürcher Kunstgewerbeschule, heute ZHdK, die er mit dem Fachdiplom abschloss. Danach arbeitete er in verschiedenen Sparten des technischen Designs. Zugleich konzentrierte er sich auf seine eigene künstlerische Arbeit und organisierte sich 1989 seine erste Ausstellung in Greifensee.
Die hier gezeigte Auswahl ist eine Art Summe dessen, was Jan Leiser seither beschäftigt und wozu er bildnerisch Stellung nimmt.
Dr. Tildy Hanhart, Kunsthistorikerin Zürich, 31. August 2022